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19.07.2023

Unsere Freundin Marianne Wilke ist tot

Marianne Wilke während eines Zeitzeuginnengesprächs

Vier Jahre nach dem Tod ihres Mannes Günther ist Marianne Wilke am 17. Juli 2023 im Alter von fast 94 Jahren im Kreise ihrer Familie gestorben.

1929 als Marianne Lehmann geboren, wuchs sie als Tochter eines jüdischen Vaters und einer nichtjüdischen Mutter in Hamburg auf. In der rassistischen nationalsozialistischen Ideologie galten sie und ihr jüngerer Bruder somit als „Halbjuden“, die Familie war Einschränkungen und Verboten ausgesetzt. So durften die Geschwister keine nicht-jüdischen Freund*innen treffen, waren von vielen Freizeitaktivitäten ausgeschlossen, durften später auch nicht mehr die Schule besuchen. Sie erlebten Beschimpfungen und Ausgrenzungen. Doch die Familie hielt zusammen. Die Mutter verweigerte konsequent eine Scheidung ihrer „privilegierten Mischehe“, weshalb der Vater erst im Frühjahr 1945 nach Theresienstadt deportiert wurde und überleben konnte. Mariannes Großeltern und weitere Verwandte väterlicherseits wurden jedoch von den Nationalsozialisten deportiert und ermordet.

Nach dem Krieg arbeitete Marianne als Kindergärtnerin und heiratete den Journalisten Günther Wilke. Beide waren jahrzehntelang gemeinsam in der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN-BdA) und im Kampf gegen das Vergessen aktiv. Das Ehepaar Wilke engagierte sich auch im Arbeitskreis gegen Rechtsradikalismus und Ausländerfeindlichkeit in Wedel. Günthers Tod wenige Tage vor ihrem 90. Geburtstag im Jahr 2019 traf Marianne hart. Doch sie gab nicht auf und engagierte sich weiter.   

Marianne Wilke wurde mehrfach für ihr ehrenamtliches Engagement ausgezeichnet, u.a. mit dem Bundesverdienstkreuz sowie dem Schleswig-Holsteinischen Meilenstein, einer Auszeichnung des Verbandes Deutscher Sinti und Roma e.V., Landesverband Schleswig-Holstein, auf die sie ganz besonders stolz war, wird er doch nur an Menschen verliehen, „die durch ein besonders herausragendes, soziales, humanistisches oder unbürokratisches Engagement für die Minderheit der Sinti und Roma [engagiert haben]“.

Unzählige Zeitzeuginnengespräche gab Marianne an Schulen und Gedenkstätten, sprach über ihre Kindheit und Jugend im nationalsozialistischen Deutschland sowie über die Konsequenzen der nationalsozialistischen Verfolgung auf ihr weiteres Leben. Dabei hatte sie eine ganz besondere Art, mit jungen Menschen zu sprechen, deren Herzen ihr innerhalb von Minuten zuflogen. Als Wunsch an die folgenden Generationen gab sie nach jedem Zeitzeuginnengespräch dem vorwiegend jungen Publikum mit auf den Weg: „Es ist nicht deine Schuld, dass die Welt ist, wie sie ist. Es wäre nur deine Schuld, wenn sie so bleibt.“

Marianne Wilke war auch uns ein ganz besonderer Mensch und ihr Tod reißt eine große Lücke. Wir sind sehr traurig und mit unseren Gedanken bei ihr und natürlich bei ihren Lieben, die diesen Verlust nun verkraften müssen.