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15.09.2025

Zeitzeugin Marione Ingram zu Gast in Hamburg

Marione Ingram und ihr Mann während des Zeitzeugengesprächs. Marione hält ein Schwarzweißfoto einer Person in der Hand
Marione Ingram und ihr Mann während des Zeitzeugengesprächs

Seit dem 5. September 2025 ist Marione Ingram mit ihrem Ehemann Daniel aus den USA für einen Besuch in Hamburg. Bei einer Veranstaltung am Campus HafenCity am 8. September 2025 berichtete sie von ihren Erfahrungen als jüdisches Kind im Nationalsozialismus und von ihrem politischen Engagement seit den 1950er Jahren.

Die Veranstaltung fand im Rahmen eines Begleitungsprogramms der temporären Ausstellung „Ich war zurückgekommen. Allein.“ statt, welche bis zum 31. Oktober 2025 am Gedenkort „denk.mal Hannoverscher Bahnhof“ besucht werden kann. Die Ausstellung widmet sich dem Kriegsende und der Befreiung vom nationalsozialistischen Regime 1945 aus der Perspektive Hamburger Jüdinnen und Juden, Sintize und Sinti sowie Romnja und Roma.

Marione Ingram wurde 1935 als Marion Oestreicher in Hamburg geboren. Als Kinder einer jüdischen Mutter und eines nicht-jüdischen Vaters erlebten Marione und ihre jüngeren Schwestern Helga und Rena Diskriminierung und Ausgrenzung. Die Familie ihrer Mutter Margarete Oestreicher wurde deportiert und ermordet. Eindrücklich schilderte Marione Ingram den Moment, in dem Gestapo-Beamte sie einen Abend vor ihrem sechsten Geburtstag aus den Armen ihrer Großmutter Rosa Singer rissen. Im Juli 1943 erhielt nach Mariones Erinnerung auch ihre Mutter den Deportationsbefehl, doch der „Hamburger Feuersturm“ verhinderte ihre Verschleppung in das Ghetto Theresienstadt. Der Zugang zu Schutzräumen wurde Marione und ihrer Mutter allerdings verwehrt. Ungeschützt irrten sie durch die Stadt, ein Bombenkrater gab ihnen vorübergehend Schutz. Ihnen gelang es, sich 18 Monate bis zur Befreiung in einer Hütte und einem Erdloch auf einem Bauernhof in Rahlstedt zu verstecken. Der Hof gehörte dem Ehepaar Pimper, bei welchen Mariones mittlere Schwester Helga schon seit der Deportation der Großmutter verdeckt lebte. Mit 17 Jahren entschied Marione zu ihrer Mutter in die USA auszuwandern, wo sie heute noch lebt. Dort traf sie ihren Mann Daniel, mit dem sie seit 69 Jahre zusammen ist.

Im Gespräch mit Karin Heddinga (Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte) berichte Marione Ingram lebhaft und detailreich von ihren Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg, der Befreiung und dem Weiterleben. In den 1950er Jahren begannen Marione und Daniel Ingram sich aktiv in der Bürgerrechtsbewegung in den USA zu engagieren. Bis heute setzten sich beide unermüdlich in der Antirassismus, der Antikriegs-, der Frauen- und LGBTI+-Bewegung, für Klimaschutz und gegen Trumpismus ein. Marione hatte sich als Kind im Versteck vorgenommen Friedenskämpferin zu werden. Das ist sie geworden, bis heute demonstrieren sie und Daniel vor dem Weißen Haus in Washington für Frieden. 2016 erschien ihr Buch „Kriegskind. Eine jüdische Kindheit in Hamburg“ auf Deutsch. Ihr zweites Buch „The Hands of Peace: A Holocaust Survivor’s Fight for Civil Rights“ liegt bisher nur auf Englisch vor.

Am 11. September 2025 sprach Marione Ingram dann mit Schülerinnen und Schülern des 8. Jahrgangs des Campus HafenCity. Vor allem an die jungen Zuhörerinnen und Zuhörinnen richtete sie den eindringlichen Appell, sich aktiv gegen antidemokratische Entwicklungen einzusetzen und für eine gerechte und diskriminierungsfreie Gesellschaft zu kämpfen. Gerade jetzt sei es wichtig, Bewegungen zu gründen und zusammenzuhalten. Insbesondere neue Technologien ermöglichen ganze neue Formen von Vernetzung, Austausch und Engagement für Demokratie und Menschenrechte. „Ich weiß, dass es möglich ist, Dinge zu ändern“, ermutigte sie einen Schüler.

Der Besuch von Marione und Daniel Ingram wurde der Stiftung Erinnerung, Verantwortung, Zukunft (EVZ) gefördert. Organisiert wurden die Veranstaltungen am 8. und 11. September vom Projekt „denk.mal Hannoverscher Bahnhof“ (Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte) in Kooperation mit dem Campus HafenCity. Wir sind dankbar für den Besuch von Marione und Daniel Ingram und die Möglichkeit, ihre Lebensgeschichten zu hören.

Karin Heddinga, Isabel Rheims, Johanna Schmied

Marione Ingram im Gespräch mit einer anderen Person
Marione Ingram im Gespräch
Marione Ingram sitzt an einem Tisch mit einem Mikrofon vor ihr
Marione Ingram